Was kann ich abschneiden, was kann ich noch essen?
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Foodsaver stehen bei geretteten Lebensmitteln immer vor der Herausforderung zu entscheiden, was noch essbar ist und was nicht und was man eventuell abschneiden kann. Außerdem - und langfristig noch wichtiger - sollen und müssen Foodsaver dasselbe auch anderen Menschen erklären.
Als kleine Hilfestellung dazu hat die AG Hygiene begonnen, diesen Leitfaden zu schreiben. Er enthält schon einige Hinweise und kann hoffentlich in der Foodsaver-Praxis nützlich sein. Der Leitfaden ist aber sicherlich noch nicht vollständig (und wird es nie sein). Wir werden ihn stetig weiterentwickeln und freuen uns dazu auf eure Fragen, Anregungungen und Ideen.
Meldet euch gerne bei uns an hygiene@foodsharing.network.
Einleitung
Sobald z.B. Obst oder Gemüse äußerlich beschädigt und damit die natürliche Abwehrbarriere in ihrer Funktion eingeschränkt wurde, können Mikroorganismen an dieser Schwachstelle eindringen und Zersetzungsprozesse einleiten.
Sie wandeln bei ihrem Stoffwechsel Inhaltsstoffe des Lebensmittels um in andere Stoffe, die man Metaboliten (Zwischen- oder Umwandlungsprodukte) nennt. Einige dieser Metaboliten sind es, welche das LM für uns ungenießbar machen und teilweise zu Giftwirkungen führen können (die letzteren Metaboliten bezeichnet man als Myko- und Bakterientoxine).
Bei weitem nicht alle Metaboliten sind ungesund oder giftig. Wir Menschen nutzen gezielt solche Prozesse, um z.B. durch Fermentation Produkte wie Essig, Bier, Wein, Käse, Salami, Sauerkraut, Kombucha etc. zu erzeugen.
In den meisten Fällen ist nicht unmittelbar erkennbar, ob es sich bei einer Veränderung eines Lebensmittels um eine gesunde, leckere, oder eine ungesunde Veränderung handelt. Mit bloßem Auge kann man zum Beispiel nur schwer zwischen "Edelschimmel" und einer pathogenen (giftigen) Art unterscheiden - für den Laien absolut unmöglich. Deswegen muss man auf einige Anhaltspunkte achten, um die Genießbarkeit eines Lebensmittels beurteilen zu können.
Über Schimmel
Schimmel wird ausgelöst durch Keime, wenn diese das Lebensmittel erreichen. Während des Schimmelwachstums werden Myotoxine abgegeben, die für Menschen u.U. sehr giftig sein können. Die meisten werden auch durch Kochen nicht zerstört.
Zusätzlich gefährlich sind die Schimmelsporen (das, was beim Wachstum wächst). Sie sind sehr unempfindlich gegen Hitze, Kälte, Trockenheit und fast alle anderen Umgebungsbedingungen; und sie zu verschlucken oder einzuatmen, kann auf Dauer zu Langzeitschäden führen.
Schimmelsporen können quasi überall, auf jedem organischen Material, auftauchen und wachsen. Allerdings benötigen sie zum Keimen und zum anschließenden Wachsen geeignete Bedingungen. Die beiden wichtigsten Grundbedingungen sind die Temperatur und der Wassergehalt.
Die meisten Schimmelpilze wachsen am besten bei mittleren Temperaturen von etwa 20-45 °C. Deshalb ist die Kühlung von Lebensmitteln ein probates Mittel gegen Schimmelbildung. Gleichzeitig benötigen Schimmelpilze einen minimalen Feuchtigkeitsgehalt im LM, auf dem sie wachsen.
Es gibt aber noch ein paar weitere relevante Rahmenbedingungen, z.B.
- eine große Oberfläche (die auch durch Schneiden erst entstehen kann) - die große Kontaktfläche zur Luft erhöht die Wahrscheinlichkeit des Kontakts mit Mikroorganismen.
- Veränderung gegenüber dem Naturzustand - durch Schneiden oder Erhitzen kann die natürliche Barriere gegen Keime zerstört werden (z.B. die Schale eines Apfels).
- Zubereitung / Mischung - einzelne, besonders empfindliche Zutaten können das ganze Lebensmittel gefährden
- Schützend wirkt: Erhitzung des Lebensmittels über 75°C - Keime werden zuverlässig abgetötet, und bis zur Neuentstehung einer kritischen Menge vergeht einige Zeit.
Wie kann man nun Lebensmittel beurteilen?
Für die Beurteilung der Lebensmittel sind 3 Ansätze sehr geeignet.
- die Art der Lebensmittel - sie legt die erforderlichen Lagerungsbedingungen fest.
- die Prüfung der Lebensmittel.
Die Art der Lebensmittel
Unterschiedliche Lebensmittel
- stellen sehr unterschiedliche Anforderungen an die Lager- und Transportbedingungen
- erlauben eine unterschiedliche Aufbewahrungsdauer
- erfordern eventuell einen gesonderten Umgang oder eine gesonderte Behandlung vor dem Verzehr
- können noch weitere Anforderungen stellen.
Die Weitergabe-Ampel für Lebensmittel gibt eine gute Orientierung, welche Arten von Lebensmitteln bzw. Speisen man unterscheiden sollte und was man jeweils beachten muss.
Lagerung
Die beste Möglichkeit gegen das Verderben von Lebensmitteln ist die gute und bei einigen eher anfälligen Lebensmitteln nicht zu lange Lagerung. Wie man Lebensmittel gut lagert, hängt sehr vom einzelnen Lebensmittel ab.
War das Lebensmittel
- gekühlt (falls Kühlware) - höchstens mit kurzer Unterbrechung ? Und kühl genug ?
- verschlossen, luftdicht oder trocken gelagert, wenn nötig ?
- in sauberen, für Lebensmittel geeigneten Verpackungen oder Behältnissen ?
- geschützt vor Kontamination durch Schmutz oder ggf. Luftzufuhr ?
- geschützt vor Kontamination durch menschliche Berührung, Atmen, Niesen, ... ?
- warmgehalten worden, wie lange und bei welcher Temperatur ?
- so gelagert, dass es seinen Zustand einigermaßen erhalten konnte: Trockenwaren trocken, wässrige Lebensmittel wie Obst nicht zu wässrig, eingelegte Gurken in der Einlegebrühe usw. ?
- geschützt vor Feuchtigkeit ? Zuviel Feuchtigkeit ist meistens schlecht, weil sie Schimmelbildung begünstigt.
Prüfung von Lebensmitteln
Für Laien stehen in der Regel wissenschaftliche Prüfmethoden wie etwa chemische oder mikrobiologische Analysen nicht zur Verfügung. Auch sind sie nicht geschult, um Lebensmittel mit ihren Sinnen präzise zu testen.
Für die Entscheidung, ob ein Lebensmittel noch unbedenklich verzehrt werden kann, stellt aber der Auge-Nase-Mund-Test einen wichtigen und sehr guten Ansatz dar. Er liefert bei den meisten Lebensmitteln - mit ein paar klar definierten Ausnahmen - fast vollständige Sicherheit.
Wie man ihn genau durchführt, und was man dabei beachten muss, das erklärt der Artikel Auge-Nase-Mund-Test für Lebensmittel (Sensorische Prüfung).
Schritt 1 - der Auge-Test
- Fällt einem etwas auf, was eventuell das Lebensmittel nicht sicher verzehrfähig macht?
- Sind offensichtliche Stellen mit Schimmel zu sehen (“pelziger” Besatz) ?
- Ist die Verpackung aufgebläht?
- Dies ist relevant vor allem bei Konserven und Vakuumverpackungen (Gefahr von Botulinumtoxin), bei anderen Verpackungen nicht.
- Klare Ausnahmen, bei denen aufgeblähte Packungen unproblematisch sind: fermentierte Lebensmittel (z.B. Sauerkraut, Kimchi)
- Gibt es deutliche, feuchte oder weiche Druckstellen? Das deutet auf Fäulnis hin.
- Gibt es Schädlingsbefall (der Wurm im Apfel) ?
- Ist Obst außen scheinbar (nahezu) intakt, aber innen weich und braun? Dann ist das Obst eventuell gegoren.
- Öl: sieht es ranzig oder verseift aus? (Geschieht durch unsachgemäßer Lagerung.)
- Austrocknung von wasserhaltigen oder eingelegten LM ? (vertrockneter Pfirsich, Gewürzgurke ohne Sud, ...)
Schimmel ist kritisch bei
- Lebensmitteln mit hohem Wassergehalt oder lockerer Konsistenz, zum Beispiel:
- Brot
- Säfte, Pürees, Saucen
- Frisch-/Weichkäse, frische Fleischwaren
- Gurken, Melonen, Tomaten, Zucchini und ähnlich wässriges Gemüse
- Mandarinen, Orangen, Zitronen, Nektarinen und ähnlich wässriges Obst
- Beerenfrüchte (sämtliche)
- Marmelade (Schimmelbildung am Rand oder an Verunreinigungen, die Myotoxine per Diffusion in der ganzen Marmelade verteilen kann)
- sämtlichen Getreide-/Nussarten: hier entstehen cancerogene Aflatoxine! Auch bitter schmeckende Nüsse/Mandeln/Pistazien sollte man immer sofort entsorgen!
- Mayonnaise und anderen Produkten mit rohem Ei
Sie sollten dann auf jeden Fall entsorgt werden.
Schimmel ist weniger kritisch bei LM mit härterer Konsistenz. Bei diesen kann der Fäulnisbereich durchaus großzügig (2 Finger breit um die kontaminierte Stelle) aus-/abgeschnitten werden. Zu diesen Lebensmitteln zählen
- Salami, Räucherschinken
- Hartkäse (Parmesan o.ä. - am Stück)
- hartes Obst und Gemüse wie Karotten, Knollensellerie, Äpfel
Die natürliche Struktur verlangsamt die Ausbreitung der Hyphen und vermindert dadurch ein zügiges Durchdringen des LM.
Wenn das Lebensmittel aber angeschnitten oder sonstwie verändert ist (gekocht, eingeweicht, zerdrückt, ...) dann ist diese Schutzwirkung eventuell aufgehoben.
Tiere / Ungeziefer / Wespen
- Haben Tiere Kontakt zu den Lebensmitteln? Vor allem auch kleine ... wie Insekten? Das stellt ein großes hygienisches Problem dar.
Am Beispiel von Wespen:
Wespen belaufen und bearbeiten mit ihren Mundwerkzeugen sowohl lebende als auch tote pflanzliche und tierische Organismen – also auch Aas – zur Nahrungsaufnahme. Dabei bleiben Keime aller Art an der Oberfläche des Insekts (Chitinpanzer, Haare und Borsten) haften. Diese Mikroorganismen werden auf von den Wespen beitretenden und bearbeiteten Lebensmitteln übertragen. Aus diesem Grund ist das häufige bzw. starke Auftreten von Wespen auf Lebensmitteln als ekelerregend einzustufen.
Im übrigen ist es nicht ungewöhnlich, dass Wespen in Hohlräume der Backwaren kriechen. Wenn eines der Insekten beim Verzehr der Backwaren in den Mund gelangt, kann durch einen Wespenstich in den Rachen das Gewebe stark anschwellen, was im schlimmsten Fall zum Ersticken führen kann.
Schritt 2 - der Nase-Test
Kein Nase-Mund-Test bei Schimmel!
Beim Auftreten von Schimmel sollten der Geruchstest (und der Geschmackstest) unbedingt weggelassen werden, denn eingeatmete oder verschluckte Schimmelsporen besitzen ein allergenes Potential. Außerdem sind sie Partikel, also kleine Teilchen, die sich in der Lunge festsetzen und die Lungenbläschen blockieren können (vor allem größere Mengen an Sporen).
Beim Nase-Test kommt es nicht auf besondere Kriterien an. Es genügt der unmittelbare, intuitive Eindruck, der entsteht, wenn man die Nase an ein Lebensmittel hält. Das allererste Gefühl - anziehend oder abstoßend - ist fast immer richtig. Man muss aber sehr schnell entscheiden, weil nach höchstens einer Sekunde das Denken einsetzt - und das ist beeinflusst von kultureller Prägung (Eltern, Fernsehwerbung, Essgewohnheiten), so dass man oft zu falschen beurteilungen kommt.
Ausnahme: Bei Lebensmitteln, die besonders leicht verderblich sind, kann der Nase-Test versagen. Das sind einerseits Lebensmittel mit Verbrauchsdatum, andererseits rohes Fleisch, roher Fisch und alles mit rohem Ei. Bei diesen Lebensmitteln kann man sich nur sicher sein, dass sie genießbar sind, wenn sie ununterbrochen unter den angegebenen Lagerbedingungen (kühl!) gelagert waren und (wenn vorhanden) das Verbrauchsdatum nicht überschritten wird.
Schritt 3 - der Mund-Test
Den Mund-Test sollte man nur machen, wenn ein Lebensmittel die ersten beiden Tests (Auge und Nase) bestanden hat. Ansonsten kann das Lebensmittel unangenehm oder ungesund sein.
Auch hier gilt erst einmal: der erste Eindruck zählt. Geschmack ist aber auch sehr stark kulturell geprägt (durch Gesellschaft, Familie, Freunde). Vor allem aber ist “schlecht schmecken” sehr unterschiedlich je nach Lebensmittelart.
Es kommt darauf an, ob ein Lebensmittel anders schmeckt, als es sollte. Säuerlicher Geschmack ist meistens ein Warnzeichen - außer wenn das Lebensmittel sauer sein soll wie Essig, eingelegte Gurken oder ein Sauerbraten.
Es gilt also immer:
- Schmeckt das Lebensmittel säuerlich, pappig, fad, ranzig ...
- Schmeckt das Lebensmittel bitter ...
- schmeckt das Lebensmittel süßlich, eventuell muffig ...
- Fühlt das Lebensmittel sich zu weich, zu hart, zu flüssig, schleimig, zu brockig oder flockig an ...
- ... schmeckt es anders oder fühlt es sich im Mund anders an, als es eigentlich sollte?
Gesamtbeurteilung
Am Ende zählt der Gesamteindruck. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Lebensmittel sind immer Naturprodukte (wenn auch veränderte) und letztendlich unberechenbar. Aber mit den Tipps und Vorsichtsmaßnahmen in diesem Artikel ist die Gefahr, ein ungesundes oder gar gefährliches Lebensmittel weiterzugeben, sehr gering.
Quellen
- Dissertation "Prediction of mould fungus formation on the surface of and inside building components." von Klaus Sedlbauer, https://www.ibp.fraunhofer.de/content/dam/ibp/en/documents/Publikationen/Dissertationen/ks_dissertation_etcm45-30729.pdf, Tabelle 4, S. 164, am 16.08.2020
- Antifungal Microbial Agents for Food Biopreservation—A Review, MDPI (Multidisciplinary Digital Publishing Institute), DOI: 10.3390/microorganisms5030037, https://www.mdpi.com/2076-2607/5/3/37/htm, am 16.08.2020
- Mycotoxins, Clinical microbiology reviews, 16(3), 497–516. DOI: 10.1128/cmr.16.3.497-516.2003, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC164220/pdf/0050.pdf, am 16.08.2020
- Molds On Food: Are They Dangerous?, https://www.fsis.usda.gov/wps/portal/fsis/topics/food-safety-education/get-answers/food-safety-fact-sheets/safe-food-handling/molds-on-food-are-they-dangerous_/ct_index, am 16.08.2020
Artikel von: AG Hygiene - Austausch und (Fach)Wissen (Kontakt)
Letzte Überarbeitung am 06.09.2020