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Und dabei hat das Mindesthaltbarkeitsdatums mit der '''Haltbarkeit''' eines Lebensmittels ''gar nichts zu tun''. Als Kriterium für die Essbarkeit ist es also komplett unbrauchbar.
 
Und dabei hat das Mindesthaltbarkeitsdatums mit der '''Haltbarkeit''' eines Lebensmittels ''gar nichts zu tun''. Als Kriterium für die Essbarkeit ist es also komplett unbrauchbar.
  
''Was steckt dahinter''? Was ist das MHD in Wirklichkeit? Und warum ist es wichtig, das MHD nicht mit dem Verbrauchsdatum zu verwechseln und das Verbrauchsdatum sehr ernst zu nehmen?<br>
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'''''Was steckt dahinter'''''? Was ist das MHD in Wirklichkeit? Und warum ist es wichtig, das MHD nicht mit dem Verbrauchsdatum zu verwechseln und das Verbrauchsdatum sehr ernst zu nehmen?<br>
 
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Version vom 24. Dezember 2020, 01:50 Uhr

Testartikel

Wiki-Artikel-Typ: 2 (Info-Artikel)


Das Mindesthaltbarkeitsdatum gilt für sehr viele Menschen in unserer Gesellschaft (vielleicht sogar für die meisten) als beste Entscheidungshilfe dafür, ob ein Lebensmittel noch essbar ist oder nicht. Selbst die Bundesregierung empfiehlt, Lebensmittel nur kurz nach dem MHD noch weiterzugeben.

Und dabei hat das Mindesthaltbarkeitsdatums mit der Haltbarkeit eines Lebensmittels gar nichts zu tun. Als Kriterium für die Essbarkeit ist es also komplett unbrauchbar.

Was steckt dahinter? Was ist das MHD in Wirklichkeit? Und warum ist es wichtig, das MHD nicht mit dem Verbrauchsdatum zu verwechseln und das Verbrauchsdatum sehr ernst zu nehmen?
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Mindesthaltbarkeitsdatum

Nach dem MHD ist das schlecht ?? Ein Mythos.

Wenn es darum geht, festzustellen, ob ein Lebensmittel noch genießbar ist oder nicht, dann ist das beliebteste Entscheidungskriterium das Mindesthaltbarkeitsdatum. Im Gegensatz zu allen anderen Möglichkeiten - für die man ein wenig oder manchmal auch eine ganze Menge Wissen über Lebensmittel benötigt - ist das Mindesthaltbarkeitsdatum scheinbar besonders einfach. In Wirklichkeit aber kann man kaum mehr daneben liegen als mit der strikten Beachtung des Mindesthaltbarkeitsdatums. Denn das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) hat mit der Genießbarkeit eines Lebensmittels gar nichts zu tun. Das ist ein großer Mythos.

Was ist das Mindesthaltbarkeitsdatum ?

Auf Lebensmittelverpackungen steht fast immer ein Mindesthaltbarkeitsdatum (Ausnahmen siehe Abschnitt Rechtliche Grundlage). Es ist gekennzeichnet mit den Worten "Mindestens haltbar bis (Ende)", gefolgt von dem Datum oder von einer Angabe, wo auf der Verpackung das Datum zu finden ist.

Manchmal sind auch noch die Aufbewahrungsbedingungen angegeben. Das Mindesthaltbarkeitsdatum gilt nur, wenn diese Bedingungen kontinuierlich eingehalten werden. (Aber: was "gilt" in diesem Zusammenhang heißt, dazu siehe Abschnitt Und die Garantie? ...) Die Angabe des MHD ist in der Europäischen Union vorgeschrieben ([1], Art. 9 (1) f)), ebenso in der Schweiz ([2], Art. 36 Abs 1d.).

Um zu verstehen, was das MHD wirklich bedeutet, ist es am besten, die gesetzlichen Vorschriften dazu kurz anzuschauen.

Rechtliche Grundlage

Die Pflicht zur Kennzeichnung bestimmter Lebensmittel (und auch ein paar anderer Stoffe wie Kosmetika) wird festgelegt durch die Verordnung Nr. 1169/2011 der EU ([1]). Der Text zum MHD ist aber sehr kurz. In der Verordnung steht lediglich, dass

  • die Angabe des MHD für Lebensmittel verpflichtend ist (Art. 9 (1) f))
  • bei "in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln" statt dessen ein Verbrauchsdatum (VD) stehen muss (Art. 24 (1))
  • es einige Ausnahmen gibt, vor allem rohes, unverarbeitetes Obst und Gemüse außer Keimen und Sprossen, Getränke ab 10% Alkoholgehalt, frische Backwaren, und noch einige mehr (Anh. X.1d))
  • die Form des MHD bzw. VD präzise festgelegt ist (Anh. X.1a-c))

Entscheidend ist die Definition des Begriffs in Artikel 2 (2) r) :

[ Es bezeichnet der Ausdruck ...] „Mindesthaltbarkeitsdatum eines Lebensmittels“ das Datum, bis zu dem dieses Lebensmittel bei richtiger Aufbewahrung seine spezifischen Eigenschaften behält;

Mehr steht dort im Wortlaut nicht.

Die "spezifischen Eigenschaften"

Die spezifischen Eigenschaften sind für jedes Lebensmittels einzeln festgelegt, aber oft nicht EU-weit, sondern in nationalem Recht. In Deutschland stehen sie im "Deutschen Lebensmittelbuch" ([3], [4]). Dort liest man dann zum Beispiel für Obst ([5]):

"Längenmaße können ... bei 10 % des Gesamtgewichtes ... bis zu 10 % vom Bezugswert abweichen" ([5], 1.3.3)

Das heißt zum Beispiel: 10% der Bananen dürfen bis zu 10% länger oder kürzer oder breiter oder schmaler ... sein als die Standard-Banane. Oder:

"Getrocknete Äpfel ... sind annähernd gleichmäßig geschnitten ... von typischer weißlicher bis gelber Farbe ... Geruch und Geschmack sind fruchtig, intensiv nach reifen Äpfeln, ... Sie haben eine feste, jedoch keine ledrig-zähe Textur." ([5], 6.1.1.2)

Das Mindesthaltbarkeitsdatum nennt also den Zeitpunkt, bis zu dem das Obst genau diese Farbe, diesen Geruch und diese Textur behält und auch nicht kleiner wird (zum Beispiel, wenn es schrumpelig wird).

Übrigens steht in der EU-Richtlinie "Zeitpunkt, bis zu dem das Obst ... behält" - nicht "voraussichtlich behält" oder "üblicherweise behält" ([1], Art. 2 (2) r)). Hoffentlich weiß das Obst das auch immer ...


MHD und Lebensmittelverschwendung

Man sieht gerade an allen eben zitierten Vorschriften deutlich: das MHD sagt, dass Lebensmittel danach eventuell etwas anders aussehen (heller, dunkler, andere Farbe), ein wenig anders riechen (z.B. weniger intensiv-fruchtig) oder weicher / härter sind als gewohnt. Nirgendwo kommen in diesem Zusammenhang Kennzeichen vor, die ein Lebensmittel als schlecht (ungenießbar) erweisen.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum hat also mit Genießbarkeit rein gar nichts zu tun. (Im Unterschied zum Verbrauchsdatum, siehe den Abschnitt dazu!)

Schlauerweise wird das Mindesthaltbarkeitsdatum im Englischen angegeben als “best-before ...” - nicht etwa “good-before ...” - das Lebensmittel ist nicht nur gut, sondern in seinem bestmöglichen Zustand bis zu dem Datum.
Der deutsche Begriff "mindestens haltbar bis ..." ist also eigentlich irreführend und sollte etwa heißen: "unveränderte Qualität bis ..." oder "perfekt bis ..." Die Begriffe sind allerdings auch in den meisten anderen EU-Sprachen in diesem Sinne irreführend gewählt, und die Hauptbezeichnung "Mindesthaltbarkeitsdatum" (statt etwa "Mindestqualitätsdatum" oder "Mindestperfektionsdatum") hat es sogar ins Englische geschafft als alternative Kennzeichnung "date of minimum durability".

Und die Garantie? Und wie lange?

Im Abschnitt Rechtliche Grundlagen steht der vollständige Gesetzestext für das Mindesthaltbarkeitsdatum. Darin tauchen nirgends die Worte Garantie, Gewährleistung oder Haftung auf. Auch das ist also ein Mythos: nämlich, dass ein Hersteller garantiert, dass ein Lebensmittel bis zum MHD die richtige Farbe, Größe usw. hat.
Hersteller geben keine Garantie - sie sagen höchstens den Zeitpunkt vorher oder schätzen ab. Verändert sich ein Lebensmittel vorher, dann kann man es oft aus Kulanz umtauschen; aber eine Verpflichtung dazu haben Hersteller oder Läden nicht.

Und es kommt noch wilder: Für die Festlegung des MHD gibt es zwar eine DIN-Norm (DIN-10968, [8]; inzwischen auch eine internationale Version als ISO 16779), die genaue Empfehlungen für die wissenschaftliche Ermittlung des MHD und der geeigneten Aufbewahrungsbedingungen nennt. Aber eine Norm ist kein Gesetz. Man kann sich an sie halten - aber man kann das MHD auch auf fantasievollere Arten festlegen.
Einen starken Einfluss hat vermutlich, dass Hersteller natürlich die Anzahl der Beschwerden möglichst gering halten wollen. Das kann dazu verführen, das MHD eher zu kurz als zu lang festzulegen. Außerdem steigert ein kurzes MHD natürlich den Absatz eines Produkts, weil viele Menschen die Produkte dann früher wegwerfen und neu kaufen.

MHD und Lebensmittelverschwendung - Fazit

Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist also ein hervorragendes Mittel, um die Lebensmittelverschwendung zu vergrößern:

  • Erstens "sortiert" es Lebensmittel schon aus, wenn ihre Farbe, Form, Größe, Geruch, Geschmack oder Textur sich ändern - unabhängig davon, ob diese Änderung wirklich bedeutet, dass ein Lebensmittel schlecht ist.
  • Zweitens können Hersteller versucht sein, das MHD eher kurz festzulegen, so dass Lebensmittel deutlich früher nicht mehr gegessen werden, als es eigentlich nötig wäre.
  • Drittens kommt hinzu, dass es Menschen ermöglicht, sich auf das MHD zu konzentrieren. Sie verzichten dann auf andere Mittel wie den [[Auge-Nase-Mund-Test_für_Lebensmittel_(Sensorische_Prüfung)|Auge-Nase-Mund-Test] oder darauf, mehr über Lebensmittel zu lernen; diese Hilfsmittel wären aber präziser und würden dazu führen, dass man ein Lebensmittel viel länger essen kann.



Quellen

[1] Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 - Lebensmittel-Informations-Verordnung (LMIV)

[2] Verordnung SR 817.02 (Schweiz) - Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV)

[3] Deutsches Lebensmittelbuch, abgerufen am 22.11.2020

[4] Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission: Leitsätze aus den Fachausschüssen, abgerufen am 22.11.2020

[5] Deutsches Lebensmittelbuch, Leitsätze für Obsterzeugnisse, abgerufen am 22.11.2020

[6a, 6b] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Leitfaden für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen - Rechtliche Aspekte, Ausgaben Oktober 2014 bzw. August 2020

[7] Verordnung (EG) Nr. 178/2002

[8] DIN-10968 - Ermittlung und Überprüfung der Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln, Dezember 2003; inzwischen auch eine internationale Version als ISO 16779.

[9] Bundeszentrum für Ernährung, Lebensmittelverderb erkennen, abgerufen am 13.12.2020



Artikel von:   AG Hygiene - Austausch und (Fach)Wissen   (Kontakt)
Letzte Überarbeitung am 24.12.2020